SEIICHI FURUYA faßt unter dem Titel »die Reise« eine Gruppe von sechs vergrößerten Kontaktbögen zusammen, die alles zeigen, was er in den Monaten zwischen Frühjahr und Herbst 1985 fotografiert hatte: die Zeit der »Reise« umfaßt die letzten Lebensmonate seiner Frau, die sich im Herbst 1985 in Berlin-Ost, ihrem damaligen gemeinsamen Wohnort, das Leben genommen hat. 1988 hat Furuya, ohne eine andere Form dafür zu finden, diese Fotografien, lesbar wie ein Tagebuch, zusammengestellt. Die Orte, an denen die Fotos entstanden sind, wer- den genannt: Berlin-Ost, Graz, Venedig (die letzte gemeinsame Reise), Potsdam (der Sonntagsausflug), Berlin-Ost. Was Furuya zu zeigen imstande ist, umfaßt also alles, was im beschriebenen Zeitraum von ihm festgehalten werden konnte. Ist es das, was er gesehen hat? Immer wieder das Fernsehbild, Informationen aus der Welt von Draußen, aber auch ein Abwenden vom Innen; Schnappschüsse von der Reise; die Uhr, die den Zeitpunkt des Bombenabwurfes auf Hiroshima fixiert; die Familie am Tisch: die Frau und das Kind; der Mann; das »Zwei« und »Eins« dieser Konstellation wie die Wiederholung zweier unmittelbar zuvor aufgenommener Bilder einer Fernsehübertragung eines Rad- Verfolgerrennens; die Marmorfiguren in Potsdam; die Frau und das Kind dort; die Ehrenparade des 7. Oktober; das »AngéIus«-Bild von Millet; ein Messer auf dem Tisch; Fleischstücke in der Schale. Die Grenze des möglichen Sagbaren scheint schon überschritten. Alles, jedes sichtbare Element hat, für den der es in Wirklichkeit gesehen hat, seine Wahrheit. Es bleibt unverrückbar in seiner Bedeutung für das Ganze, auch wenn es hilflos nur ein Fragment dessen zeigt, was diese Wirklichkeit bedeutet hat. Es scheint, als hätte es keine andere Möglichkeit der Wahrnehmung gegeben, als den Blick nicht abzuwenden. Keine andere Möglichkeit des Sichtbarmachens, des Sprechens vom Erfahren dieses Ganzen, als möglichst wenig daran zu rühren: das nicht Sagbare nicht sagen müssen; das, was gesagt wird, was sichtbar ist, als das anzunehmen was es war (ist). Nichts anderes zu tun, als die Wahrheit, so wie sie für ihn in diesen Bildern da ist, zuzulassen. Wie ein innerer Monolog laufen die Bilder ab; es spielt keine Rolle, sich immer wieder das Gleiche vorzusagen. Kein Wort, kein Bild wird gesucht um des Ausdrucks willen. Kein Schritt führt weg von den Orten, die die Erinnerung ständig wachhalten: Anrufen und Bannen in einem.
© Christine Frisinghelli, 1989 (Camera Austria International, no.29/1989)